Mit ihrem Vorschlag über eine Richtline über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive, im Folgenden „die Richtlinie“), hat die Europäische Kommission ein verbindliches Regelwerk zur Förderung von verantwortungsbewusstem unternehmerischem Verhalten unter Einbeziehung von Menschenrechts- und Umweltaspekten vorgeschlagen. Gemäß dem Entwurf müssen Unternehmen künftig erhöhte Sorgfaltspflichten einhalten und ihre Tätigkeiten im Hinblick auf potenzielle sowie tatsächliche negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt evaluieren. Wenn Unternehmen die Vorschriften nicht einhalten und dadurch ein Schaden entsteht, können sie haftbar gemacht werden und müssen mit finanziellen Sanktionen rechnen. Am 14. Dezember 2023 haben der Europäische Rat und das Europäische Parlament nun eine vorläufige Einigung über den Richtlinienentwurf erzielt, womit der Grundstein für eine gesamteuropäische Gesetzgebung in diesem Bereich gelegt ist.

Welche Vorgaben beinhaltet die Richtlinie?

Der Richtlinienentwurf enthält eine Verpflichtung für Unternehmen, eine Sorgfaltsprüfung hinsichtlich Umwelt und Menschenrechte in ihren Betrieben, Tochtergesellschaften und globalen Wertschöpfungsketten durchzuführen. Dabei sollen Unternehmen „tatsächliche und potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt“, die sich aus ihren Tätigkeiten ergeben, ermitteln, vermeiden und bei Bestehen abschwächen bzw. neutralisieren. Ebenso wird ihnen die Verpflichtung auferlegt, regelmäßig Bewertungen ihrer eigenen Tätigkeiten vorzunehmen („Monitoring-Verpflichtung“), einen Präventionsaktionsplan zu entwickeln und Beschwerden von Personen und Organisationen bei berechtigten Bedenken entgegenzunehmen. Unter gewissen Umständen können Unternehmen sogar einer zivilrechtlichen Haftung unterliegen. Ziel ist damit sowohl eine Vereinheitlichung der Regelungen innerhalb des europäischen Binnenmarktes als auch die Verankerung einer Rechenschaftspflicht der Unternehmen für negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt, die auch gesetzlich durchsetzbar ist.

Welche Tätigkeiten sind umfasst?

Welche Tätigkeiten konkret als „negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt“ angesehen werden können, ergibt sich aus dem Anhang zu dem Vorschlag, der eine Liste an Verstößen gegen internationale Menschenrechts- und Umweltübereinkommen enthält. Diese lösen die in der Richtlinie vorgesehenen Rechtsfolgen aus.[1] Im Rahmen der Trilog-Verhandlungen wurden die von der Richtlinie geschützten Rechtsgüter massiv erweitert und beinhalten nun alle messbaren negativen Umweltauswirkungen sowie eine größere Anzahl an umfassten Menschenrechtsübereinkommen (insbesondere für vulnerable Gruppen) als der ursprüngliche Entwurf. Weiters soll die bisher als abschließend verstandene Liste des Anhangs mittels Delegierter Verordnung durch die EU-Kommission ergänzt werden können.

Für wen sollen die Vorschriften künftig gelten?

Es wurden im Gesetzgebungsprozess mehrere Vorschläge vorgebracht, für welche Unternehmen die Richtlinie zur Anwendung kommen soll. Geeinigt hat man sich letztendlich darauf, dass EU-ansässige Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ab einem weltweiten Nettoumsatz von mehr als EUR 150 Millionen an die Vorschriften gebunden sein sollen. Unternehmen, die ihren Sitz nicht in der EU haben, sind von der Richtlinie dann umfasst, wenn sie drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie einen Nettoumsatz von mehr als EUR 150 Millionen in der EU erwirtschaften. Damit bleiben kleinere und umsatzschwächere Unternehmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie weitgehend ausgeschlossen. Ebensowenig unter die Richtlinie fallen laut der aktuellen Einigung Unternehmen des Finanzsektors, was bereits erhebliche Kritik ausgelöst hat.

Welche Sanktionen sieht die Richtlinie bei Verstößen vor?

Verstöße gegen die Richtlinie sollen Strafzahlungen in Höhe von bis zu 5% des weltweiten Umsatzes nach sich ziehen. Weiters können Unternehmen, die bei den Tätigkeiten ihrer Geschäftspartner nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt oder die Menschenrechte feststellen, dazu verpflichtet werden, diese Geschäftsbeziehungen zu beenden. In Bezug auf die zivilrechtliche Haftung stärkt die Richtlinie die Rechte der Betroffenen (einschließlich Gewerkschaften und NGOs) und räumt ihnen beispielsweise eine Frist von 5 Jahren ein, in der sie ihre Ansprüche geltend machen können. Die Auseinandersetzung mit betroffenen Stakeholdern ist allerdings nicht erst im Haftungsfall, sondern bereits im Prozess der Sorgfaltsprüfung selbst vorgesehen, im Zuge dessen den Unternehmen die Verpflichtung auferlegt wird, in den Dialog mit betroffenen Interessensgruppen zu treten.

Wie geht es weiter?

Die Richtlinie muss in einem nächsten Schritt formell beschlossen werden, ehe sie durch die Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen ist. Dies soll grundsätzlich innerhalb von 2 Jahren nach Inkrafttreten geschehen, wobei die Umsetzungsfrist je nach Größe und Umsatz des betroffenen Unternehmens variieren soll. Über die genaue Frist bestand bisher in den Verhandlungen noch keine Einigkeit und die Vorschläge reichten von 2 bis hin zu 5 Jahren. Wie genau diese Fristen nun angesetzt werden, wird wohl erst dem endgültigen Entwurf zu entnehmen sein. Dies bedeutet für die meisten Unternehmen – ungeachtet dessen, ob sie unmittelbar in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen oder mittelbar aufgrund von Vertragsbeziehungen mit erfassten Unternehmen – allerdings jetzt schon, dass sie bald mit den Vorbereitungen beginnen und an der Implementierung der Richtlinie arbeiten sollten. Dies beinhaltet, dass die eigenen Geschäftstätigkeiten so gestaltet werden müssen, dass die Achtung von Menschenrechten und insbesondere der Menschenwürde im gesamten Wertschöpfungsprozess von Anfang an sichergestellt wird. Dieser sog. „human dignity by design“-Ansatz erweist sich daher als ein unerlässlicher Schritt zur Umsetzung der Richtlinie. Außerdem wird eine Befassung mit dem Instrument der Menschenrechtsfolgenabschätzung (human rights impact assessment) dringend angeraten, wenn es darum geht, die Auswirkungen der eigenen Geschäftstätigkeiten auf die Menschenrechte zu evaluieren.

Welche Rolle spielt die Richtlinie für Non-Profit-Organisationen (NPOs)?

Laut dem Entwurf soll die Richtlinie nur auf Unternehmen Anwendung finden, die als bestimmte Rechtsformen gegründet wurden. Im Falle Österreichs wären dies Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung.[2] Dennoch ist die Richtlinie für NPOs von Bedeutung. So können diese Unternehmen in der Evaluierung ihrer Menschenrechts- und Umweltsituation, insbesondere im Hinblick auf Wertschöpfungsketten, unterstützen und wertvollen Input in Bezug auf die Beseitigung von Verstößen liefern. Weiters werden sie sich als wichtige Akteure in der Dokumentation der einzuhaltenden Sorgfaltspflichten erweisen und betroffenen Unternehmen in der Regelung dieser Pflichten zur Seite stehen. Ebenso werden NPOs wichtige Hinweise dahingehend liefern, ob Unternehmen die Vorgaben der Richtlinie in ihren Beschaffungsprozessen erfüllen bzw. bei ihren eigenen Beschaffungsprozessen darauf achten, nur Produkte von jenen Unternehmen zu erwerben, die sich selbst an die Standards der Richtlinie halten. Dazu zählt insbesondere auch die Einhaltung der Grundsätze des Art 12 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte bzw. Art 17 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, wonach keine rechtswidrigen Eingriffe in das Privatleben bzw. die Privatsphäre der Betroffenen durch Datenschutzverletzungen erfolgen dürfen. Wie sich dies auf die Diskussion um Künstliche Intelligenz (KI) und deren Risiken auswirkt, ist hingegen noch unklar, da die Entwicklung von potenziell schädlichen KI-Systemen zum heutigen Stand nicht ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt.

Es erweist sich daher als von immenser Bedeutung, dass NPOs auf etwaige Verstöße gegen die Richtlinie öffentlich aufmerksam machen bzw. ein generelles Bewusstsein für das Thema in der Öffentlichkeit schaffen. Es ist überdies denkbar, dass NPOs den Gesetzestext stets bezüglich seiner Umsetzung und Wirksamkeit im Blick behalten und die Organe der EU darüber unterrichten, ob die Richtlinie Schlupflöcher enthält oder Verstöße gegen wichtige Übereinkommen im Anhang fehlen. Somit kommt NPOs eine zentrale Rolle in der Umsetzung, Durchsetzung und Beobachtung der Einhaltung der Richtlinie zu, womit sie erheblich zur Verbesserung der menschenrechtlichen und nachhaltigen Standards in der globalen Wertschöpfungskette beitragen könnten.

Madeleine Müller
Madeleine MüllerResearcher und Consultant

Autorin

Dr. Madeleine Müller, BA, MU ist Researcher und Consultant am Research Institute – Digital Human Rights Center.